Tag 5 Genial! Der Sprit in der spanischen Enklave Melilla ist nochmal deutlich billiger als in Marokko. Gut, dass die Tanks gerade „zufällig“ leer sind! Und auch eine Werkstatt für den Reifenwechsel ist schnell gefunden. Bei meinem Reisepartner dauert es einen Moment länger, da der Vorderreifen Luft verliert. Der fingerfertige Mechaniker poliert das Felgenhorn nach und schon passt wieder alles. Blöd, wenn uns das mit den Schlauchlosreifen der BMW irgendwo in der Hammada passiert wäre.

 

Die Suche nach dem richtigen Grenzübergang läßt uns an dem Sicherheitszaun entlangfahren, der die Kontinente trennt. In Anbetracht der aktuellen „Völkerwanderung“ sorgt der Anblick für ein ungutes Gefühlsgemenge im Bauch und Gedanken im Kopf.

 

Die Ein- bzw. Ausreiseformalitäten laufen gewohnt chaotisch ab. Neu ist für mich die Menschenkette: überwiegend alte marokkanische Frauen und einige junge Männer marschieren in einer Reihe hintereinander einen schmalen Korridor entlang, begleitet von Uniformierten. Die Menschen tragen unvorstellbare Lasten auf ihrem Rücken. Eine sehr alte und kleine Frau mit Gehstock, trägt Berge von Waren auf dem Rücken, die sie in der spanischen Enclave ergattert hat. Ich vermute, dass sie auch ohne Last auf dem Rücken dem Boden mit ihrer Nase sehr Nahe ist. Sie stürzt unter der Last über einen nicht richtg geschlossenen Gullideckel, die Menschenschlange hinter ihr schiebt weiter. Der Korridor ist bewusst so schmal, dass an ein Überholen nicht wirklich zu denken ist. Und so wird die Alte regelrecht überrannt. Schreie sind zu hören, eine andere Frau hilft der Alten mühsam wieder auf die Beine. Die Uniformierten treiben die Menschenkette von hinten weiter an. Ich kann es kaum fassen und muss mir die Szenerie 30 Minuten anschauen, bis mein Reisepartner von seinem Formalitätenmarathon zurückkommt.

 

Eine weitere halbe Stunde später sind wir in Marokko, es muss gegen 11:00 Uhr sein. 100 Meter nach der Grenze sehen wir einen Markt. Einige der Waren, die eben erst über den Einspurkorridor geschleppt wurden, wechseln hier bereits wieder den Besitzer. Vieles ist Schrott, billiger Tand aus Fernost und den Rest mag sich jeder selber denken....Für die „Schlepper“ geht alles von vorn los. Ich finde das, was hier passiert, menschenunwürdig. Fotos mache ich nicht, ich fühle mich sowieso schon als privilegierten europäischem Beobachter unwohl.

 

Wir fahren rasch aus der Stadt raus, über Guercif, Taza, Richtung Atlas, auf immer kleiner werden Straßen. Die Gipfel des Atlas bescheren uns immer wieder ein fantastisches Panorama mit schneebedeckten Bergen. Hinter einer Kurve entdecken wir einen türkis schimmernden See, noch einige Kilometer entfernt. Wir sind uns schnell einig, dass wir uns eine Piste dorthin suchen für eine erste Kaffeepause in Marokko. Auf der Sand- und Geröllpiste erleidet mein Ego einen ersten herben Dämpfer: in einer Kehre rutscht mir das Vorderrad weg. Ich liege am Boden. Die KTM läuft liegend weiter, bis ich den Killschalter finde. So hatte ich mir den ersten Tag in Marokko nicht vorgestellt. Ich richte die KTM auf und registriere den verbeulten 28 Liter Koffer links und den abgebrochenen Kupplungshebel. Letzterer hat glücklicherweise eine Sollbruchstelle, sodass ich mit den verbleibenden zwei Dritteln die restliche Tour weiterfahren kann. Der Koffer hatte mir bereits 2 Stunden vorher die Stimmung versaut, weil die letzte Dose San Miguel aus Spanien ausgelaufen war und mir mein mühsam erarbeitetes Ordnungssystem mit diversen modifizierten Kartons für all den Kleinkram wie Werkzeug, Elektronik und Speicherkarten usw. versaut hatte. Nun lag alles lose im Koffer, roch nach Bier und rappelte wie betrunken munter vergnügt vor sich hin. Zum Glück war alles noch funktionstüchtig, wie sich später herausstellte. Und mit der Zeit organisierte ich den Koffer neu. Doch zunächst nutzte ich die Pause, um alles in der Sonne zu trocknen. Anschliessend stopfte ich den Koffer bis zum Rand voll mit Weichgepäck aus dem anderen Koffer, um dem munteren Tanz der Kleinteile in der unteren Etage ein Ende zu bereiten.

 

Mein Reisepartner bekam meine schlechte Stimmung mit und hielt sich dankbarerweise mal zurück, ganz entgegen seiner Natur, what a wonderful world!